Textatelier
BLOG vom: 19.05.2009

Obama-Stilbruch 20: Wundersame Rettung von Guantánamo

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Am ersten Tag seiner US-Herrschaft wolle er das Foltergefängnis Guantánamo schliessen – nichts einfacher als das, hatte der neue, endlich auf die Erde hinab gestiegene Messias Barack Obama 2008 hoch und heilig versprochen, als er Präsident werden wollte. Er liess damit durchblicken, dass er das gelobte Land USA von einem Teil des dort angesammelten Morasts reinigen wolle. Er wurde zu einem Hoffnungsträger für eine bessere Welt für alle jene, die auf Sprechblasen hereinfielen. Daraus wird jetzt auch wieder nichts. Dem gerichtlichen Druck, unbekannte Foltermemoranden freizugeben, konnte Obama zwar nicht widerstehen, aber der Guantánamo-Schliessung schon.
 
Das Vorgehen beim Ausstieg aus politischen Versprechen ist das Folgende, wie man von Obama lernen kann: Man macht eine möglichst publikumswirksame Ankündigung, ein Problem sofort zu lösen, wenn das eigenen Zwecken dient. Wenn der Zeitpunkt dafür gekommen wäre, spielt man auf Zeit, schiebt den Vollzug immer weiter hinaus, indem man auf Schwierigkeiten hinweist. Am 16.01.2009 nannte Obama, früherer Verfassungsrechtler, einen Zeitraum von 1 Jahr bis zum Ende des traurigen, schändlichen Guantánamo-Tunnels. Und am Schluss beerdigt man nicht etwa das Gefängnis, sondern das Versprechen mit dem von Bush II. übernommenen Hinweis, die nationale Sicherheit gehe vor. Soweit zum Stand der Dinge. Man stelle sich den Daueraufschrei der Entrüstung vor, wenn sich Fidel Castro auf Kuba, den die Amerikaner mehrmals ermorden wollten, auch nur annähernd so verhalten und in diesem Ausmass gegen Menschenrechte verstossen hätte!
 
Jetzt soll das globale Publikum einfach glauben, dass in Guantánamo im heissen Südosten der Insel Kuba von den Amerikanern in Zukunft nicht mehr gefoltert wird, obschon es in den USA heftigen Widerstand gegen die Folter-Abschaffung gibt, vor allem aus der ehemaligen Bush-Administration und dem CIA. Man hat auch zu glauben, dass die Rechte der Angeklagten gestärkt werden ... Aussagen, die unter Folter erzwungen wurden, sollen angeblich nicht mehr zugelassen werden. Man wird sehen, falls das Entscheidende überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt.
 
Die ganze Folterei (Obama einst: „enormer Fehlschlag“), wie sie das Bush-II-Regime nach Herzenslust unter dem Allerweltstitel „Kampf dem Terror“ wiederbelebt hat, war (ist) nicht allein auf das Gefängnis auf Kuba konzentriert, sondern es gab einen ganzen Folterflugtourismus. Dieser Tatbestand ist gerade wieder in Erinnerung gerufen worden, indem eines der unzähligen US-Berufungsgerichte in San Francisco 5 Klägern aufgrund des Alien Tort Statute (ATS, dem Gesetz zur Regelung ausländischer Ansprüche) Recht gegeben hat. Die Männer, Ahmed Agiza, Abou Elkassim Britel, Binyam Mohammed, Bisher alRawi und Mohammed Farag Ahmad Bashmilah, waren von der US-Chartergesellschaft Jeppesen Dataplan, einer Boeing-Tochter, im CIA-Auftrag in Geheimflügen ins Ausland deponiert worden, zu Folterverhören nach „mittelalterlicher Art“ (so der Äthiopier Binyam Mohammed).
 
Das Berufungsurteil wird natürlich nicht so heiss gegessen werden. Laut „Washington Post“ ging das Gerichtsurteil nach Obamas Beurteilung etwas weit, denn in traditioneller Bush-Art wies er darauf hin, dass nationale Sicherheitsinteressen ganz oben stehen. Er sagte: „Es bedarf zusätzlicher Hilfsmittel, damit die Doktrin zum Schutz von Staatsgeheimnissen kein solch stumpfes Instrument ist.“
 
So hat er also die Messer bereits nach gut 100 Amtstagen in herkömmlicher Manier gewetzt und dargelegt, dass ihm faire Prozesse weniger als das angebliche Staatsinteresse bedeuten, mit dem nach US-Auslegung jede Rechtsbeugung gerechtfertigt werden kann. Die Schonzeit ist vorbei, und die Systemmedien wagen sich an eine leise Kritik heran. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sprachen von einem „gefährlichen Fehltritt“ Obamas, auch von Wortbruch, und sie bekundeten Enttäuschung. „The land of the laws“ – das Land der Gesetze, der Gerechtigkeit: das war einmal. Der Lack ist von den USA und seinem Heilsbringer, der einst sogar mit Martin Luther King verglichen worden war, ab. Viel schneller als von vielen erwartet.
 
Sogar die Militärtribunale, die auf Guantánamo, einem praktisch rechtsfreien Raum, als Gerichte amtieren, welche die Fairness durch Willkür ersetzt haben und kaum Rechte der Angeklagten anerkennen, kommen in 120 Tagen laut Beschluss der neuen Regierung Obama vom 15.05.2009 wieder in Betrieb, nachdem Obama deren Verfahren anfänglich suspendieren liess, um den Schein zu wahren. Bush lässt, jetzt aus seiner Ranch in Texas, grüssen. Nach Ansicht der Amerikanischen Bürgerrechtsunion (ACLU) ist in Guantánamo kein Häftling, dem nicht vor einem ordentlichen Bundesgericht ein mehr oder weniger fairer Prozess gemacht werden könnte.
 
Übrigens: Obama will Guantánamo bis 2010 schliessen. Endgültig.
 
Vielleicht lässt er bis dahin das Gefängnis auf dem US-Militärstützpunkt Bagram (Afghanistan) ausbauen, wo die Methoden besonders brutal und die Gefangenen rechtlos sind. An dieser Institution hält Obama ohnehin unbeirrt fest.
 
 
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